Sky Marshal - Als Flugsicherheitsbegleiter im Einsatz
Die "Sky Marshals" begreifen sich nicht als Elitepolizisten, obwohl sie eine harte anspruchsvolle Ausbildung hinter sich haben. Sie sind keine Einzelkämpfer, sondern arbeiten nur im Team. Ihr Job ist kräftezehrend und, auch wenn alles gut läuft, durchaus gefährlich.
Es ist kurz vor ein Uhr nachts. Auf dem International Airport zeigt das Thermometer auch jetzt noch 20 Grad Außentemperatur. Mein Team und ich haben zusammen mit den anderen Passagieren das klimatisierte Terminalgebäude verlassen und gehen über das Vorfeld auf den Jumbo zu, der uns zurück nach Deutschland bringen soll.
Hinter meinem Team und mir liegen rund 24 Stunden Aufenthalt in einem der ärmsten Länder dieser Welt. Einem Land, das geprägt ist von vielen Gegensätzen. So führt die Fahrt vom Hotel zum Flughafen vorbei an einer der größten und prunkvollsten Moscheen der arabischen Welt. Andererseits wird man an fast jeder Straßenecke mit der bitteren Armut der unzähligen Elendsviertel konfrontiert.
Eindrücke, die oft über Tage hinweg in meinem Gedächtnis haften bleiben und dazu führen, dass ich gewisse Luxusprobleme zu Hause in Deutschland eher gelassen betrachte.
Mein Team und ich. Wer sind wir? Wir sind Flugsicherheitsbegleiter (FSB) und Angehörige der Bundespolizeiinspektion Flughafen Frankfurt/Main VI. Im internationalen Sprachgebrauch bezeichnet man uns gerne als Sky Marshals. Das hört sich zwar reißerisch an, aber jeder in unserer Inspektion weiß, dass wir eine Aufgabe wahrnehmen, bei der kühle Professionalität und absolute Wachsamkeit gefragt sind; Möchtegernrambos sind bei uns fehl am Platz. Doch zurück zum International Airport.
Es ist für unseren Auftrag immens wichtig, dass wir nicht als Polizeibeamte zu erkennen sind. Das ist mitunter gerade für neue Kollegen gar nicht so einfach, denn im Einsatz kann man schon mal bei einem kurzen Geplänkel beim Check-in oder beim Small Talk mit seinem Sitznachbarn im Flugzeug gehörig ins Schwitzen kommen – vor allem dann, wenn der Gesprächspartner keine deutschsprachigen Wurzeln hat. Die meisten unserer neuen Kollegen verstehen spätestens jetzt, warum auch das Training zur Aufrechterhaltung der Legendierung im Verlauf der Verwendungsfortbildung zum FSB und während der regelmäßigen Fortbildungen in der Inspektion einen hohen Stellenwert einnimmt.
Die Flugzeugkabine ist bereits gut gefüllt, als ich meinen Sitzplatz erreiche. Eine Flugbegleiterin serviert den sichtlich müden Passagieren Erfrischungsgetränke. Die Stimme des Kapitäns informiert über den geplanten Flugverlauf, und die Flugbegleiter bereiten sich auf ihre Sicherheitsdemonstration vor. Das übliche Prozedere also.
Der Kapitän hatte mich bereits vor Abflug in einem Gespräch darüber informiert, dass er keine Besonderheiten während des Fluges erwartet und mit einem voll ausgebuchten Flugzeug rechnet. Bei diesem Gespräch staunte der Kapitän, als er anstatt eines 1,90 Meter großen, muskelbepackten "Kerls" eine Frau vor sich stehen sah, denn alle Kolleginnen und Kollegen müssen das gleiche Anforderungsprofil erfüllen. Und welcher Terrorist oder Passagier vermutet schon hinter einer gut gekleideten, jungen Frau mit Handtasche eine Polizistin mit Spezialausbildung?
Es ist jetzt kurz vor halb zwei und unsere Maschine rollt langsam in Richtung Startbahn. Das Kabinenlicht wird abgedunkelt, und ich mache es mir in meinem Sitz bequem. So soll es zumindest auf meine Sitznachbarn wirken. In Wirklichkeit gehe ich in Gedanken unsere Standardverfahren für den Ernstfall durch und beobachte möglichst unauffällig das Verhalten der anderen Passagiere. Das habe ich auch schon bei der Ankunft am Flughafen getan. Das ist nicht immer so einfach, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Eine falsche Beurteilung von scheinbar auffälligen Verhaltensweisen kann schnell zu einer ungeahnten Kettenreaktion führen. An Bord von Flugzeugen treffen sich Menschen der unterschiedlichsten Kulturkreise, und ohne solide Grundkenntnisse über deren Gepflogenheiten und Traditionen ist es fast unmöglich, mögliche Verdächtige unter ihnen bereits vorher zu erkennen.
Als wir unsere Reiseflughöhe erreicht haben, beginnen die Flugbegleiter mit dem Service. Die meisten Passagiere haben ihre Sitze in Betten verwandelt und schlafen bereits. Die Mahlzeiten sind bald serviert und alle Flugbegleiter bemüht, den Service rasch abzuwickeln, um allen Passagieren die gewünschte Nachtruhe zu ermöglichen. Für die nächsten Stunden verwandelt sich die Kabine in eine Dunkelkammer, in der man ohne Leselampe kaum die eigene Hand vor Augen erkennen kann. Es ist nicht nur dunkel, sondern auch wohlig warm und mittlerweile überkommt auch mich eine große Müdigkeit.
Doch anders als alle anderen Passagiere dürfen meine Kollegen und ich kein Auge zumachen, wir müssen wach bleiben – sozusagen hellwach und ständig in Alarmbereitschaft. Ich bin wach und vertiefe mich als vermeintlicher Nachtmensch in eine Zeitung nach der anderen. Alles scheint seinen normalen Gang zu gehen. Hier und da ein sonores Schnarchen und einige wenige, die tatsächlich nicht schlafen können und das bordinterne Unterhaltungsprogramm genießen.
Die Zeiger der Uhr drehen stetig ihre Runden – obwohl ich der Zeit entgegenfliege, die ich aufgrund der Zeitumstellung schon hinter mir habe. Ich bestelle mir gerade einen weiteren Kaffee, als plötzlich ein lauter Schrei die Stille an Bord zerreißt. Dem Schrei folgt ein dumpfer Knall, fast so, als wäre ein schwerer Gegenstand oder ein menschlicher Körper unkontrolliert zu Boden gefallen.
Es fällt mir nicht schwer, die Quelle dieser Geräusche zu lokalisieren. Irgendetwas Ungewöhnliches muss sich in der Bordküche zugetragen haben. Die zugezogenen Vorhänge und die schlechten Lichtverhältnisse verhindern, dass ich mir schon von meinem Sitzplatz aus einen ersten Überblick verschaffen kann. Ich habe jetzt keine andere Möglichkeit mehr, als mich sofort in Richtung Bordküche zu begeben. Als ich weitere hektische Klopfgeräusche bemerke, spüre ich, wie mein Herzschlag steigt. Neben meinen Teamkollegen und mir haben nur einige wenige Passagiere Kenntnis von dieser Situation genommen.
Zügig erreiche ich den Vorhang. Vor meinem geistigen Auge spielen sich jetzt Szenarien ab, die wir immer und immer wieder im Einsatztraining sowie in den Schieß- und Taktikeinheiten trainiert haben. Ich frage mich, ob dies jetzt der Ernstfall ist? Sind meine Einsatzmittel griffbereit und kann ich sie schnellstmöglich und effektiv einsetzen? Die Klopfgeräusche werden jetzt lauter und mein Puls rast, ja er überschlägt sich fast. Mit einem kurzen Blick nehme ich Kontakt zu meinem Teamkollegen auf, der ebenfalls den Zugang zur Bordküche erreicht hat. Ein kurzes Nicken, wir öffnen gleichzeitig die Vorhänge und ...
So oder so ähnlich könnte sich fast jeder Einsatzflug von meinen Kollegen und mir in den letzten Jahren zugetragen haben. Was hinter dem Vorhang passiert, obliegt der eigenen Fantasie. So viel sei aber gesagt: Eine Auflösung dieses Szenarios wird nur erfahren, wer sich der Herausforderung stellt und sich zu einer der nächsten Verwendungsfortbildungen als Flugsicherheitsbegleiterin
oder Flugsicherheitsbegleiter bewirbt.
Ich habe meine Entscheidung bis heute nicht bereut, und es waren nicht die materiellen Anreize – privat wie dienstlich –, die mich dazu bewogen haben, diesen Schritt zu tun. Mein Leben wurde um viele Erfahrungen bereichert, in erster Linie um positive Erfahrungen, und ich erlebe mit meinen Kollegen ein bisher nicht gekanntes Wir-Gefühl. Es ist eine ganz besondere Erfahrung, einem (Team-)Kollegen das eigene Leben anzuvertrauen und gleichzeitig zu wissen, dass man auch für dessen Leben und das Leben der Menschen an Bord verantwortlich ist, wenn der Ernstfall einmal eintreten sollte.
Erschienen in: Bundespolizei kompakt 3-2011 (Mitarbeiterzeitschrift)